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The HOUSE of The HORNED SERPENT

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New Age – spirituelle Verarmung, koloniale Muster und die Illusion der bequemen Allmacht

  • Autorenbild: Eric
    Eric
  • 21. Dez.
  • 4 Min. Lesezeit

New Age und New Thought sind keine uralten Weisheitstraditionen, keine geheimen Linien über Jahrtausende bewahrter spiritueller Erkenntnis, sondern Produkte einer sehr konkreten historischen Phase: des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie entstehen in einer Zeit, in der man beginnt, die Welt systematisch zu entzaubern. Mit Freud, Jung und der frühen Psychologie wird das Übernatürliche zunehmend in den Bereich der Psyche verschoben, Geister werden zu inneren Bildern, Götter zu Archetypen, spirituelle Erfahrungen zu psychischen Mechanismen. Was über Jahrtausende hinweg als reale, objektiv wirksame geistige Welt verstanden wurde, wird zur subjektiven Innenwelt erklärt, und Magie verkommt dabei zur bloßen Einbildung oder bestenfalls zu einem psychologischen Placebo-Effekt.


Was dabei verloren geht, ist nichts Geringeres als die reale Existenz einer belebten, beseelten, eigenständig wirkenden Welt. Die westliche Kultur steht nach diesem Prozess nicht plötzlich aufgeklärt, sondern spirituell ausgezehrt da. Die eigenen Götter sind tot, die eigenen Geister vertrieben, die eigenen Volksüberlieferungen diskreditiert. Und anstatt diese verschütteten europäischen Traditionen wieder freizulegen, wendet sich der Blick nach außen, genau dorthin, wo man sich historisch ohnehin bereits bedient hat: in die kolonial unterworfenen Regionen dieser Erde.


Plötzlich werden schamanische Praktiken aus Nord- und Südamerika, Schwitzhütten, Smudging, Traumfänger, Medizinräder, ebenso wie Yoga, Tantra oder asiatische Meditationsformen zum spirituellen Rohstoff für eine westliche Sinnsuche, die ihren eigenen Boden verloren hat. Diese Praktiken werden aus ihren kulturellen, religiösen und sozialen Zusammenhängen gerissen, vereinfacht, entkernt, ihres eigentlichen Bedeutungsgehalts beraubt und schließlich als konsumierbare Produkte neu verpackt. Aus lebendigen Traditionen werden spirituelle Accessoires. Der kulturelle Zusammenhang wird zur Fußnote, wenn überhaupt. Was bleibt, ist eine kolonial geprägte Esoterik, die sich fremder Welten bedient, während sie die eigenen weiterhin ignoriert.

Eine der prägenden Figuren dieser Bewegung ist Helena Blavatsky, deren theosophische Lehren nicht nur esoterische Konzepte, sondern auch höchst problematische ideologische Konstrukte enthalten. Vorstellungen von Wurzelrassen, von spirituellen Entwicklungsstufen der Menschheit, von einer angeblichen atlantischen Ur-Zivilisation, aus der eine „höhere“ Menschheit hervorgegangen sein soll, sind keine harmlosen Fantasien. Diese Ideen stehen in direkter ideengeschichtlicher Nähe zu jenen völkischen und rassistischen Denkmodellen, die später im Nationalsozialismus auf ihre brutalste Weise umgesetzt wurden. Auch wenn Blavatsky historisch nicht mit dem NS gleichzusetzen ist, bleibt die strukturelle Verwandtschaft dieser Denkfiguren unbestreitbar.


Besonders perfide wird diese gesamte Bewegung dort, wo sie sich auf das Manifestationsprinzip verengt. Die Vorstellung, man erschaffe seine Realität ausschließlich durch seine Gedanken, man bekomme exakt das, was man verdient, und trage allein die Verantwortung für alles, was einem widerfährt, mag innerhalb privilegierter Lebensrealitäten verführerisch klingen. Doch in dem Moment, in dem man diese Logik konsequent zu Ende denkt, entlarvt sie ihren moralischen Abgrund. Denn dann bedeutet sie nichts anderes, als dass verhungernde Kinder, Kriegsopfer, Verfolgte, Gefolterte, Ermordete ihr Leiden selbst verursacht hätten. Dass die im Mittelalter verbrannten Hexen sich ihr Schicksal selbst manifestiert hätten. Dass die Opfer des Holocaust letztlich für ihr eigenes Leid verantwortlich gewesen wären. Der Satz „Jedem das Seine“, der zynisch über dem Tor von Buchenwald prangte, bekommt in diesem Weltbild eine erschreckend konsequente Entsprechung.


Damit zeigt sich, dass New Age nicht harmlos ist, nicht unpolitisch, nicht einfach nur „persönliche Spiritualität“. Es ist strukturell blind für Macht, Geschichte, Gewalt und Verantwortung und reproduziert in seiner extremen Individualisierung genau jene Logiken, die reales Leid unsichtbar machen und Opfer zu Tätern umdeuten.

Auch auf der praktischen Ebene ist dieses Denken kaum mehr als eine spirituell verbrämte Illusion von Kontrolle. Wenn jemand bei der Sparkasse ein konkretes Problem mit dem Online-Banking hat, dann löst sich dieses Problem nicht dadurch, dass man es sich intensiv wünscht oder es „ins Universum sendet“. Es bringt ebenso wenig, sich direkt an den Vorstand zu wenden – an eine Instanz, die so weit entfernt ist, dass sie mit dem konkreten Vorgang kaum noch Berührung hat. Was tatsächlich hilft, ist der direkte Kontakt zum Service, zu den Menschen, die real in den Prozess eingebunden sind. Noch besser funktioniert es dort, wo bereits Beziehungen bestehen, wo man sich kennt, wo Gegenseitigkeit gewachsen ist.


Genau an diesem Punkt beginnt die traditionelle Hexerei – und genau hier trennt sie sich radikal vom New-Age-Denken.


Eine Hexe arbeitet nicht mit einem anonymen, allgegenwärtigen, nebulösen „Universum“, sondern mit konkreten, lokalisierbaren Mächten. Alles ist miteinander verbunden, ja – aber nicht als moralische Floskel, sondern als reales Wirkungsgeflecht. Jede Handlung, jede Entscheidung, jede Bewegung, egal ob von Mensch oder Geistwesen, zieht nicht nur eine Folge nach sich, sondern eine ganze Kette von Reaktionen, die wiederum neue Reaktionen auslösen. Dieses Geflecht wird als Wyrd, als Schicksalsweben verstanden – nicht als vorbestimmtes Schicksal, sondern als logisch wirkendes Netz aus Aktion und Wirkung, in dem nichts folgenlos bleibt.


Hexen lernen, sich in diesem Netz zurechtzufinden. Sie lernen, welche Handlungen welche Wesen berühren. Sie lernen, welche Pflanzen welche Geister rufen, welche Orte welche Kräfte bündeln, welche Opfer welche Antworten hervorrufen. Sie lernen nicht, sich Wünsche zu bestellen, sondern mit realen Beteiligten in Beziehung zu treten. Beziehungen werden aufgebaut, gepflegt, geprüft, manchmal auch verloren. In der Initiation wird die Hexe selbst zu einem Teil dieses Wirkungsgefüges – nicht als Herrscherin, sondern als mitwirkende Kraft im Netz.


Die Hexe wird Teil des Landes, und das Land Teil von ihr. Sie spricht mit dem Geist ihres Hauses, sie opfert den Quellen und Flüssen, sie kennt die Pflanzen ihrer Umgebung und ihre Kräfte, sie weiß um die Menschen und Toten, die diesen Ort geprägt haben. Ihre Spiritualität entsteht nicht aus importierten Systemen, sondern aus unmittelbarer Beziehung.


Deshalb kauft sie keine exotischen Harze von der anderen Seite der Welt, sondern sammelt die heimischen Pflanzen vor Ort. Deshalb bestellt sie keine industriell geförderten Kristalle, von denen ein erheblicher Teil aus Minen stammt, in denen bis heute Kinder unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten müssen. Sie arbeitet mit einfachen Quarzen, mit Donnerkeilen, mit Hühnergöttern, mit Steinen, die sie selbst findet. Ihre Mythen stammen nicht aus globalen Esoterik-Katalogen, sondern aus den Märchen, Sagen und Bräuchen ihres eigenen Landes – auch dort, wo diese erst mühsam unter Jahrhunderten christlicher Überformung freigelegt werden müssen.

Hier liegt der eigentliche Gegensatz:


New Age verspricht Macht ohne Beziehung, Einfluss ohne Verantwortung, Spiritualität ohne Erdung. Traditionelle Hexerei ist Beziehung, Einbindung, Risiko, Antwort – und damit tatsächliche Wirksamkeit.


 

 
 
 

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